Dr. med. H. Zimmermann
prakt. Arzt
Nierstein a. Rhein.
Nierstein. RH. den 18. April 1945
Gerichtsärztliches Zeugnis!
Im Auftrag des Herrn Polizeipräsidenten
Steffan in Mainz habe ich heute Vormittag in dessen Anwesenheit
und im Beisein des Herrn Hauptmann Kumpa, des Herrn Bürgermeister
Licht und des Beigeordneten Herrn Gustav Adolf Schmitt aus Nierstein
die gerichtsärztliche Leichenschau der an der Gemarkung
Kornsand grausam ermordeten Personen vorgenommen.
Nach Freilegung der Grabstelle (identisch mit der Stelle der Ermordung) in
einem Acker von Flur V des Kornsandes wurden die persönlich bekannten
6 Leichen zu Tage gefördert. Die Ermordeten lagen etwa 60 cm unter der
Erdoberfläche und waren alle bekleidet. Die sichtbaren Körperteile
zeigten bereits Anfänge von Verwesung, die Oberhaut war teilweise mazeriert,
im Ganzen überall Anzeichen fortschreitender Leichenzersetzung. Nach den
Angaben eines Augenzeugen soll die Ermordung in den ersten Nachmittagsstunden
des 21. März 1945 stattgefunden haben.
Das Gesicht der Leichen zeigte nach gründlicher Reinigung von der anhaftenden
Erde grünliche bis schmutzig-braune Verfärbung. Sämtliche 6
Leichen waren mit dem Gesicht nach unten in die Erde eingebettet.
Selbst für mich als Arzt war es ein grauenvoller und herzerweichender
Anblick, diese so elend durch ruchlose Hand zu Tode gekommene Menschen, die
mir persönlich als charakterlich anständig, arbeitsam und in ihrer
politischen Gesinnung niemand verletzend oder aufreizend bekannt waren, in
der Ackererde verscharrt aufzufinden. Daß die Mörder wehrlose bejahrte
Familienväter und ehrliche Ernährer ihrer Angehörigen auf grauenhafte
Weise erledigt haben, ist schon unmenschlich, - eine ehrbare Frau und wohlbesorgte
Mutter ihrer Kinder ohne ursächliche Begründung zu ermorden, zeugt
von einer grenzenlosen Gefühlsrohheit.
Leichenbefund
Johann Eller aus Nierstein, Ringstrasse
Leiche bekleidet, die Jacke war ausgezogen
und hat daneben gelegen. Im Oberkiefer fehlten sämtliche
Schneidezähne, lediglich zwei frisch abgebrochene Stümpfe
sind sichtbar. Die Oberkieferschleimhaut zeigt ein gequetschtes
Aussehen, - prämortal muß durch rohe Gewalteinwirkung
(Schlag mit einem festen Gegenstand) die Verletzung erfolgt sein.
Leichenflecken (diffuse fleckig-blaurote Stellen) besonders im Bereich des
oberen Brustkorbes.
Im Nacken, am unteren Schädelrand, etwa an der Grenze des behaarten Kopfes,
(Genick) ist die Einschußstelle eines Faustwaffengeschosses in einem
Durchmesser von etwa 8-10 mm erkenntlich.
Mittels einer Sonde läßt sich der Schußkanal einwandfrei verfolgen.
Kein Ausschuß. Als Zeichen vorhandener Schädelzertrümmerung
Blutaustritt aus beiden Ohren.
Georg Eberhard aus Nierstein, Tiefer Weg.
Leiche bekleidet. Totenflecken besonders in
Höhe der beiden Schulterblätter. Zähne und Mundschleimhaut
weisen keine Verletzungen auf.
An der Schädelbasis im Genick, der Mittellinie entsprechend, in der selben
Größe des Durchmessers, ist die Einschußstelle des Genickschusses
sichtbar und mit der Sonde in die Tiefe zu verfolgen. Kein Ausschuß.
Blutaustritt aus dem rechten Ohr u. aus der Nase, Schädelzertrümmerung.
Cery Eller aus Nierstein, Ringstrasse, Ehefrau
von Johann Eller
Leiche bekleidet. Gesicht nach unten gerichtet.
Lückenhaftes Gebiß, das nach Aussage des abwesenden Sohnes Hermann
zu Lebzeiten gegeben war. (Prothesenträgerin). Keine Anzeigen einer prämortalen
Körperschädigung.
Haare mit einem Netz zusammengehalten.
Ausgebreitete Leichenflecken zu beiden Seiten des Brutkorbes u. in den Schlüsselbeingegenden.
An der bereits erwähnten Stelle ist der Einschuß des Genickschusses
sichtbar u. für die Sonde etwa 2 cm durchgängig. Kein Ausschuß.
Blutaustritt aus dem linken Ohr,
(Schädelzertrümmerung).
Rudolf Gruber aus Oppenheim
Leiche in grauer Uniform (Volkssturm) bekleidet.
Brille aufsitzend. Auf Brust und Rücken zerstreut Totenflecken
sichtbar.
Rechte Augengegend stark blutig verschwollen.
Blutaustritt aus dem rechten Ohr, rechte Ohrmuschel ödematös aufgetrieben.
Der Genickschuß sitzt im vorliegenden Falle etwa 2 bis 3 cm von der Mittellinie
abweichend. Kein Ausschuß.
Jakob Schuch aus Nierstein, Hindenburgstraße
Leiche bekleidet.
Das linke Auge zeigt im Ober- und Unterlid eine besonders starke Verschwellung,
von einem prämortalen Bluterguß herrührend. Die Nase mit
ihrer Umgebung zeigt ebenfalls eine Schwellung und blaurote Verfärbung.
Die rechte Halsseite und die Gegend der unteren Wange (rechts) sind blutunterlaufen
verdickt. Diese Körperschädigungen scheinen von Schlägen mit
stumpfen Gegenständen bei wahrscheinlichem Widerstand von Sch. herzurühren.
Der Einschuß im Genick ist genau in der Mitte. Kein Ausschuß. Für
die Sonde einige Zentimeter zugänglich.
Blutaustritt aus dem rechten Ohr (Schädelzertrümmerung). Leichenflecken
besonders auf der rechten Brustseite sichtbar. Die linke Hand bei Faustschluß fest
verkrampft.
Nikolaus Lerch aus Nierstein, Fäulingstrasse
Leiche bekleidet.
Die linke Gesichtshälfte zeigt etwa zweifingerbreit neben dem linken Auge
blaurot verfärbte Eindellungen, die pfennig- bis markstückgroß sind.
Das linke Ohr ist stark verschwollen.
Beide Lider des linken Auges sind stark verschwollen.
Diese Verletzungen scheinen von einer stumpfen Gewalteinwirkung vor dem Tode
herzurühren.
Die Zähne sind intakt, auch keine Kiefer- oder Schleimhautverletzung im
Mund.
Der in allen Fällen angewandte Genickschuß sitzt in der Mitte, dicht
unterhalb der Grenze des behaarten Kopfes. Blutaustritt aus dem linken Ohr.
(Schädelzertrümmerung) kein Ausschuß.
Beurteilung.
Nach dem Aussehen der Leichen der 6 Ermordeten
ist anzunehmen, daß dieselben etwa 4 Wochen unter der Erde
gelegen haben. Im Fall Johann Eller war in der Höhe des
Kopfes noch frischrotes, flüssiges Blut im Erdreich sichtbar.
In fast allen Fällen hat man den Eindruck, in der Umgebung
des kreisrunden, Hautdefektes des Einschusses im Genick eine
dunklere, von eingesprengten Pulverpartikelchen herrührende,
Verfärbung der Haut wahrnehmen zu können, was allerdings
durch teilweise Mazeration der Haut nicht ganz eindeutig festzustellen
ist. Auf Grund dieser Tatsache, wie auch nach dem wohlgezielten
Sitz des Einschusses in allen Fällen (mit Ausnahme einer
kleinen seitliche Abweichung im Falle Gruber) ist ärztlicherseits
anzunehmen, daß die Faustfeuerwaffe in nächster Nähe
abgefeuert worden ist. Der Größe des Durchmessers
der Öffnung nach zu urteilen scheint es sich um eine Pistole
vom Kaliber 9 mm gehandelt zu haben.
Der Tod ist bei allen 6 ermordeten durch Zertrümmerung das Gehirns und
des verlängerten Marks als Auswirkung der lebendigen Kraft des Geschosses
eingetreten.
In den Fällen Johann Eller, Jakob Schuch und Nikolaus Lerch ist nach dem
vorliegenden Befund anzunehmen, daß im Bereich des Gesichtes noch zu
Lebzeiten körperliche Mißhandlungen mit stumpfen Gegenständen
stattgefunden haben.
gez.
Dr. Zimmermann |